Am Anfang war das Wort. Und das Wort wurde ein Bild.

Bei der Begegnung mit dem fast unerschöpflichen zeichnerischen Opus des vielseitigen bildenden Künstlers Franz Brandl bekommt der Betrachter das Gefühl, als ob seine Abbildungen tatsächlich aus dem geschriebenen Wort hervorgingen würden, weil die Buchstabenzeichen zu den wesentlichen Faktoren des Kunstwerkes, sowohl der Komposition als auch des Inhalts, gehören. 

Des Künstlers Liebe zur Literatur wird dadurch gleichermaßen ausgedrückt wie seine Leidenschaft zur bildnerischen Ausdrucksweise, woran sich letztendlich auch seine musikalische Veranlagung anschließt.

Die Anwesendheit der Schriften in Brandls zeichnerischen Schöpfungen spielt somit nicht nur eine symbolische Rolle der herkömmlichen zeitgenössischen lettristischen „Drolerien“, sondern man kann jedes gezeichnete Wort, jeden Satz oder jedes Fragment tatsächlich auch lesen. 

Als typisch erscheinen die Zeichnungen da, wo der Autor die zusammengeknüllten Zeitungspapierstücke mit allen Details abbildete, oder die Bildflächen, die fast von einem Rand bis zum anderen mit Handschriften bedeckt sind. Zugleich kann ein geschriebenes Wort unmittelbar in einer abgebildeten Figur abgeleitet werden (und umgekehrt), als ob es sich da tatsächlich um eine bestimmte Gleichung händelte: Wortschrift = Bildzeichnung. Der Zeichnungenzyklus „Orwell 84“ ist ein Beispiel solchen Beisammenlebens der literarischen und bildenden Kunst, der auch dem slowenischen Kulturpublikum bekannt ist. Im Gegensatz dazu kann man aber in Brandls malerischem Werk die Lettrismen auf der Bildfläche ganz selten aufspüren, obwohl der Inhalt der Kunstwerke oft mit dem Bildtitel definiert wird.  

In seinen neuesten Figuralkompositionen der Menschentage genannten malerischen Phase in Acryltechnik auf Leinwand, führt Franz Brandl die Farbflächen als hauptsächliches formbildendes Mittel ein, jedoch wird zugleich die Kontur beibehalten, als eine Reminiszenz an seine zeichnerische Ausgangsposition. So erkennt man in der Regel mehr oder weniger umrissene einzelne Figuren oder ihre anatomischen Einheiten, häufig mit einer akromatischen, schwarzen Kontur, wobei ein spezifischer „cloissonet“ Effekt erzielt wird. Ansonsten vermittelt die Gesamtheit der bildnerischen Elemente einen synthetistischen Eindruck, als Konsequenz einer künstlerischen Bestrebung zur Durchsetzung einer Ganzheitlichkeit von Figuren und Kompositionen. 

Die statisch wirkenden menschlichen Figuren, und etwas seltener die Tiere oder Häuser, werden in einen plastisch modelierten, abstrakten und von erkennbaren Details völlig befreiten Hintergrund eingeordnet, der aus zwei, oder ausnahmsweise drei Raumschichten besteht, wie beispielsweise beim Zyklus „Haus am Meer“, 2005. Die miteinander verbundenen menschlichen Figuren schweben beinahe zwischen Himmel und Erde, manchmal kann aber als eine Zwischenschicht auch das Meer eintreten (dritte Raumschicht). Das bildnerische Geschehen konzentriert sich somit ausschließlich auf die zentrale Figurengruppe, die eine Hauptrolle in der künstlerischen Aussage spielt. Diese kann man entweder aus dem Bild selbst ersehen oder aber mit Hilfe des Bildtitels, der öfters einen literarischen oder symbolischen Charakter enthält. 

Die Benennung des eigensinnigen Bildes „Der Musikant“, 2005, mit dem Untertitel „Kontra-Katz“, steht im Zusammenhang mit einer typischen Anekdote. Franz Brandl hat genau in die Mitte der ausnahmsweise symetrischen Komposition einen antropomorfen Kontrabas eingeordnet. Rechts von ihm wurde ein Musiker mit einem Bogen und links unten eine Katze mit gebogenem Schwanz gemalt. Eine gute Bekannte des Künstlers hat bei der Betrachtung dieses Bildes die Worte Kontra (bass) und Katze zu einem phantasievollen Titel zusammengefügt. 

An jeder Seite des Musikinstrumentes befinden sich genau sechs Figuren, die mit der Entfernung immer kleiner und geometrisch stilisierter werden, wobei eine imaginäre Außenkontur ringsum der Figuralkomposition ein unregelmäßiges Oval (oder Mandorla) umrießt, das eine transzedentale Symbolik tragen kann. Zugleich ist der Horizont seltsammerweise in konvexer Form gebeugt, mit der Aufgabe, die Spannung zusätzlich zu potenzieren (Klangeffekt!). Unmittelbar auf die Musik beziehen sich auch andere Brandls Werke, wie zum Beispiel: „Nach dem Konzert“, 2004, „Klänge am Meer“, 2005, „Am Abend tanzen wir“ usw. Der Künstler hält nämlich die Musik für einen bedeutenden Faktor des menschlichen Zusammenseins und der zwischenmenschlichen Verbindung, die genauso wie die Liebe, zugleich eine intime, geistige und soziale Bedeutung hat.  

Brandls Menschenformen sind regelmäßig in sich geschlossen und serpentinenartig leicht gebogen, wobei ein langsames Pulsieren der Lebenskraft in jedem einzelnen Wesen symbolisiert wird, das aber in das kollektive Geschehen übergreift. Ganz ausnahmsweise, nur wenn der Künstler die Dynamik des Geschehens hervorheben möchte, werden die Figuren in einem Grätenschritt oder mit einem Durchschwung abgebildet, wie zum Beispiel beim „Auftritt“ I. und II., 2005, oder beim „Jugendtreff“, 2005, usw. Die Köpfe werden meistens „en face“ abgebildet, sind oval geformt und etwas zur Seite geneigt. Seltener werden die Köpfe im Ganzprofil mit ausgeprägten Nasen abgebildet. 

Die Physiognomien sind meistens kaum angedeutet oder sogar absichtlich verschwommen, damit die Typisierung der Antlitze, im Sinn einer Identifizierung mit dem Jedermann, betont wird. Obwohl die einzelnen Figuren durch Konturen ziemlich scharf untereinander getrennt sind, berühren sie sich in einheitlichen Kompositionen wenigstens mit einem Körperteil, wenn schon nicht mit dem Großteil des Körpers, oder wird die Kontur teilweise unterbrochen, als ob sich die Formen ineinander ausgießen wollten. Von dem Künstler wird die zwischenfigürliche Verbundenheit in seinem beliebten Kunstmotiv der Mutter, mit einem kind oder zwei Kindern, die zugleich auch schwanger sein kann, noch besonders gefühlsmäßig betont. Hier sind alle Grenzen verschwommen, als ob es sich da nur um ein Wesen händelte. Solche Kompositionsverbindungen in organisch entworfenen Gesamtheiten haben einen ausgeprägten symbolischen Charakter, weil die Botschaft des Author mehr als klar ist.  

Die Menschen sind existenziell unzertrennbar verbunden und nur das beisammenleben kann erst zu einem glücklichen Leben führen, wobei als ideales Beispiel dazu gerade die Mutterschaft dienen kann. Die zwischenmenschliche Verbundenheit auf physischer und psyhischer Ebene wird durch das Bild „Strandhaus mit Schatten“, 2006, unmittelbar ausgedrückt, auf dem sich eine Gruppe von fünf erwachsenen Menschen miteinander umarmt. In ihrer Mitte befindet sich ein Säugling, als Symbol der Liebe und der Wiedergeburt.  

Die ähnliche, unmittelbare Symbolik der zwischenmenschlichen Verbundenheit wird unter anderem auch bei den Bildern „Grüße, Freundschaft“, 2005, „Die Beratung“, 2005, „Der Empfang“, 2005, „Der Besuch“, 2004, „Das Gastmahl“, 2006, oder „Die Gemeinschaft“, 2004, ausgedrückt. Das letzte Bild scheint ikonographisch noch besonders interessant zu sein, weil da einige charakteristische Besonderheiten von Franz Brandl eingeführt worden sind.  

Die erste Merkwürdigkeit presäntiert eine Figurengruppe, bestehend ausschließlich aus weiblichen Gestalten, die sich in unterschiedlichen, ungewöhlich schwungvollen Körperstellungen befinden. Die Additionskomposition setzt einen asymetrischen Akzent in einer großen weiblichen Figur, die mit einem beinahe priesterähnlichen blaufarbenen Gewand bekleidet ist. Diese beugt sich wie eine Beschützerin über eine tieferstehende Person, durch welche das spirituelle Weißes scheint und die, wie durch ein Wunder oder eine Aufklärung, offensichtlich aus dem Rollstuhl aufstehen darf. Eine behinderte Frauenfigur im Rollstuhl taucht seltsamerweise auch im Werk „Der Prediger“ auf, dennoch sieht sie so aus, als ob sie eine Genesung erst erwartet hätte. 

Das Rad des Rollstuhls wird in beiden Fällen hervorgehoben und steht formell im Kontrast zu organischen Formen in der Umgebung, offensichtlich den Lebenskreis oder die ewige Erneuerung symbolisierend. (Die Symbolik des Kreises ist auch bei der Kiki Kogelnik gewidmeten Bodeninstallation am Bleiburger Hauptplatz zu finden). Der Author möchte uns mitteilen, dass die Behinderten oder die Kranken im allgemeinen gar nicht aus der Gesellschaft ausgegliedert sind, vielmehr bilden sie einen unentberlichen Teil ihrer Gesamtheit, zugleich sagt er aber auch ihre Erlösung bzw. die Fortsetzung des Lebens in einer anderen Realität vorher. (Auf eine Wunderheilung bezieht sich auch das Bild „Der Rest eines Wunders“, 2006). 

Weiter erscheint in der „Gemeinschaft“ ein Musikinstrument (die Laute), das die Figur an der rechten Seite in ihren Händen hält und das als ein Engelsattribut angenommen werden kann, während sich an der linken Seite unten eine Frau in charakteristischer „brandelscher“ Aktstellung befindet. (Vergleich mit „Hier ist es schön“, 2005). Zuletzt kann man auch hier ganz ungewöhnliche, aber häufig auftretende brandelsche Symbole betrachten, und zwar eigenständige Kreise, die in der Regel mit einer roten, blauen oder gelben Kontur gemalt sind, derer kryptographische Bedeutung der Künstler aber nicht offenbaren möchte. (Im Werk „Gelb, Rot, Blau“, 2004, zum Beispiel, bildete Franz Brandl in anekdotischer Weise seine beliebte Dreifarbengruppe ab). Das Bild „Die Gemeinschaft“ bezieht sich also auf komplexe Thematiken der Erlösung, der geistigen Realität und des Jenseits, die ziemlich oft in Brandels Bildern zu finden sind, ohne mit einer bestimmten Religion oder philosophischen Lehre vorbelastet zu sein.  

Solche Thematiken findet man zum Beispiel in Werken „Das Licht kommt von Innen“, 2004, „Die Priesterin“, 2005, „Die Ankündigung“, 2005, „Der Friede sei mit dir“, „Sinnestausch“, 2004, „Anklang zur Metaphysik“, 2005 usw. Es können aber auch engelähnliche Wesen auftreten: „Ein Engel“, 2004, „Das Geschenk“, 2005, „Drei und ein Engel für die Liebe“, 2005 usw. Auf die eine oder andere Art der Erlösung beziehen sich die Bilder mit der Thematik des Wartens oder Erwartens: „Einer wird kommen“, 2004, „Warten auf den Bus“, 2005, „Vorfreude“, 2005, „Warten auf den Sommer“, 2005, „Wird er kommen?“, 2005, „In Erwartung“, 2006 usw. 

Eine transzedentale Symbolik tragen auch mediteran wirkende weiße Häuschen mit blauer Kontur, aus dem schon erwähnten Zyklus „Haus am Meer“, als Beispiele seltener Konstruktionen aus geraden Linien, die in Brandls Opus überhaupt aufzufinden sind. Die Häuschen mit dreieckiger „Tempelstirn“ (Attika) verfügen über ungewöhnlich große Türen und Fenster, die sozusagen die ganze Fassadenfläche einnehmen. Als Kontrast zu den regelmäßigen geometrischen Formen dienen die schlampig hängenden oder sogar zerrißenen Jalousien (seelisches Chaos!), wobei sich das Innere des Wohnraums in einer extremen Dunkelheit befindet, als ob es sich dabei um ein Sinnbild der unergründlichen Tiefen der menschlichen Seele handelte. Das seelische Chaos und die Dunkelheit werden also von einem geistigen Weiße des „tempelförmig“ entworfenen Wohnraums eingeschloßen, der mit seiner Attika nach oben zeigt, zum Himmel, zu einer anderen Realität.  

Der Symbolik des Fensters, zwar im Rahmen eines ganz unterschiedenen Kontextes, widmete sich der Künstler auch bei einem öffentlichen Auftrag für das Fresko „Der Türke von Bleiburg“. Das Fresko schmückt die Fassade eines historischen Gebäudes mit dem Überrest der Stadtmauer, und zwar auf dem Platz, der sogar nach dem Künstlern benannt wurde: Franz Brandl Türkenplatz. Der Türke, mit einer Pfeife in der Hand, schaut durch das netzförmig verglaste Barockfenster, als ob er aus einer anderen zeit-räumlichen Dimension gekommen wäre, um die Vorbeigehenden begrüssen zu können. Sowohl bildenrische als auch technische Ausführung sind dabei äußerst ungewöhnlich. Brandl blieb der Zeichnung treu, wobei er die menschliche Figur mit mehreren Konturen in verschidenen Farben abbildete um dabei einen graphischen Eindruck der Phasenverschiebung zu erreichen. Dabei wurde eine spezielle „a secco“ Technik (auf trockener Unterlage) verwendet, mit äußerst widerstandsfähigen Materialen. 

Die Tiefenillusion wird von zwei sich perspektivisch öffnenden Fensterflügeln akzentuiert, in derer Scheiben sich fast phantomartige Menschenantlitze, als Geister der Vergangenheit widerspiegeln. Als Ergänzung zu bem sowieso schon kurios wirkenden Türken steht auf dem anderen Ende des Platzes die geomantische, lithopunkturische Stella, vom slowenischen Künstlern Marko Pogaœnik, auf den sich teilweise auch der nächste öffenliche Auftrag des Franz Brandl bezieht. Genauso wie die dreieckigen Attiken auf Brandls Bildern stellt auch die reale, dreieckige architektonische Konstruktion in Form eines Pyramidenstumpfes, die mitten in einem Kreisverkehr in Einersdorf installiert ist, eine Ausnahme dar.  

Im Zentrum dieser Metallkonstruktion aus langen Alluminiumröhren und dünnen vierseitigen Profilen sind geschweißte gleichseitige Dreiecke aus perforierten Röhren aufgehängt. In der Mitte des Energiefeldes wurde ein Kubus in den Boden eingemauert, der eine Spirale trägt. Diese Spirale läuft aber genau in Gegenrichtung der Spirale, die im steingepflasterten Pfad verläuft. Am Boden um den Kubus wurden auf Kosten des Künstlers die Gedenktaffeln angebracht, die er den bekannten Persönlichkeiten aus seiner Heimatstadt und der Umgebung widmete (Werner Berg, Kiki Kogelnik, Meister von Einersdorf, Hermann Falke, Friedrich Capelari, Milka Hartmann). Die Spirale des Kreisverkhers und die Dreiecke symbolisieren die ewige Erneuerung, die Vollkomenheit und die Energiedurchströmung zwischen Erde und Kosmos, zwischen Diesseitigkeit und Jenseitigkeit.  

Als eine Fortsetzung oder als einen Aufbau der Schaffensphase „Menschentage“ entwarf Franz Brandl im Jahr 2006 den Malzyklus „Winterreise“, mit Allusionen auf den berühmten Liederzyklus von Franz Schubert. Es handelt sich um eine überraschende Stilherleitung von der letzten Figuralphase in Richtung der assoziativen Abstraktion, in der aber einzelne Figuren oder Formen fast nicht mehr erkennbar sind. Der Künstler führt hiermit eine äußerst dynamisch wirkende Komposition ein, die eine synestätische Wirkung der bildnerischen Ganzlichkeit zu vermitteln versucht, ganz im Sinne der Einheitlichkeit von Klang, Farbe und Form. 

Mario Berdic 

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